Keine Kinderfotos im Social Web

[ Überarbeitet / Ursprünglich am 22.08.2011 auf www.last-voice.de erschienen ]

Am 22. August 2011 veröffentlichte der heute.de-Redakteur Alfred Krüger auf heute.de einen Beitrag mit dem Titel Kinderfotos: Kaum geboren, schon online. In Vorbereitung für den Beitrag recherchierte Herr Krüger natürlich im Web und stieß auf unsere Facebook-Seite Keine Kinderfotos im Social Web.

[ Anmerkung: Von Alfred Krüger habe ich nachträglich und dankenswerterweise den Tipp bekommen, dass heute.de den Beitrag nach einem halben Jahr depublizieren muss. Die Gesetzgeber haben einfach einen Knall. Daher habe ich den Beitrag hier auch als immerwährendes PDF konserviert. ]

Alfred Krüger bat mich um ein paar verschriftlichte Gedanken zu meiner Facebook-Seite Initiative und die habe ich gerne formuliert.

Vorab bedanke ich mich aber ganz herzlich bei Herrn Krüger und heute.de für die Aufmerksamkeit, die Keine Kinderfotos im Social Web erhalten hat und für die Erwähnung im o.g. Beitrag auf heute.de.

Warum ‚Keine Kinderfotos im Social Web‘?

1. Wann und warum habe ich die Facebook-Seite ‚Keine Kinderfotos im Social Web‘ gegründet?

Bin ich damit alleine, wenn ich sensibel und empfindlich auf Übergriffe und Übergrifflichkeiten reagiere? Ich bin sofort Agent der Kinder, wenn der Eindruck entsteht, dass Erwachsene resp. Eltern ihre eigenen Interessen über die ihrer Kinder stellen – oder noch schlimmer, diese verwechseln. Das kann leider immer und überall passieren. Es ist eigentlich niemals die Aktion, die das entlarvt, sondern die Motivation. Für die Taufe eines Kindes, die Anschaffung einer Modelleisenbahn, die Anmeldung im Fußballverein, das Stechen von Ohrlöchern und so vieles mehr gibt es sowohl sehr herzliche, Kind-gerechte und liebevolle Motive wie auch egozentrische und ignorante. Will sagen: Viele Eltern können oder wollen nicht prüfen, ob eine Entscheidung oder Handlung auch im ureigenen Interesse des Kindes ist.

Das gilt insb. auch für das Zeigen von Kindern. In echt und auch auf Fotos. Zu viele Eltern schmücken sich mit ihren Kindern und/oder verwechseln dabei das eigene Kind mit dem persönlich inneren Kind. Sie zeigen und sagen: „Ist es nicht hübsch!?“ und meinen: „Bin ich in meinem kindlichen Kern nicht hübsch?!“ oder: „Ist es nicht sportlich!?“ und meinen: „Bin ich in meinem kindlichen Kern nicht sportlich?!“ oder: „Ist es nicht reizend!?“ und meinen: „Bin ich in meinem kindlichen Kern nicht reizend?!“

Das ist in den wenigsten Fällen tatsächlich hinterlistig geschweige denn bewusst. Es basiert in den allermeisten Fällen auf Unachtsamkeit. Das ist zwar in vielen Fällen nicht so schlimm und bleibt ohne schwerwiegende Folgen, aber … es ist in jedem Fall ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Kindes und bleibt nie ohne Folge. Es stört die Kinder. Oft subtil. Oft nachhaltig.

2. In Elternforen wird die Veröffentlichung von Kinderbildern im Netz immer wieder diskutiert. Dabei wird deutlich: Viele Eltern haben keine Bedenken, solche Fotos zu veröffentlichen. Das belegen auch Umfragen. Wo sind Sie die Gefahren, wenn Eltern Bilder ihrer Kinder bedenkenlos ins Netz stellen?

OK. In (1) habe ich beantwortet warum es mich generell stört. Durch das Internet kommt ein weiterer Aspekt hinzu.

Ich bin weitestgehend entspannt, was Datenschutz angeht. Ich sehe das Risiko des Webs ebenso wie dessen Chancen. Wer mitmachen will, sollte auch ein wenig zeigen und verraten. Ich kann nicht auf eine Party gehen, ohne gesehen zu werden. Egal ob ich tanze, trinke, plaudere oder nur zuschaue.

Ich halte es bei dem Tipp:

„Sag‘ nichts im Social Web, das Du nicht auch laut im Bus sagen würdest.“

Geschlossener Raum, aber dennoch öffentlich. Unmittelbare Reaktion erfühlbar, langfristige Folgen nicht ganz einschätzbar. Vertraulichkeit spürbar, totale Loyalität aber keineswegs gegeben.

Wenn wir Großen schon nicht sicher sind, was wir über uns selbst veröffentlichen sollen, dann sollten wir gerade mit Infos über unsere Kinder doppel-vorsichtig sein. Ich habe gestern zum Beispiel einen Post auf Facebook veröffentlicht, weil meine Tochter (bald 3 Jahre alt) einen Megaklopper rausgehauen hat. Dass ich das überhaupt veröffentliche, ist eher eine Ausnahme, aber auf eines achte ich immer: Keine Namen.

Namen veröffentliche ich übrigens auch von erwachsenen Freunden nur mit deren Einverständnis.

Vermutlich herrscht Konsenz, dass es sich nicht gehört, über ‚andere‚ im Web zu plaudern. Das gehört sich ja auch ‚so‚ nicht. Warum sollte das also bei (meinen) Kindern anders sein? Weil die mir gehören? Blödsinn! Weil die das selber lustig finden? Blödsinn! Weil die sich nicht wehren und beschweren können? Vermutlich ist da die Lücke.

Stell Dir vor, Deine Eltern hätten in den vergangenen 20, 30, 40, 50 Jahren immer wieder Bilder von Dir online gestellt. Babybilder, Lauflernbilder, Vollschmierbilder, Modevonfrüherbilder, Urlaubsbilder, Tanteküssbilder, Ersteliebebilder, Pubertätsbilder, Tanzkursbilder, …

„Stell Dir Tanzkursbilder von Dir im Web vor!“

Im Ernst: Da sind doch so viele Bilder zwischen, die wir selbst von uns kaum noch sehen wollen. Und dann sollen die der Onlinewelt zur Verfügung stehen?

Nein. Das ist nicht richtig. Das ist nicht gut.

3. Warum veröffentlichen Eltern solche Bilder im Netz?

Weil sie es nicht besser wissen.

Auch wenn viele Eltern im Social Web zu denen gehören, die ihre Kinder weitestgehend engagiert, aufgeklärt, achtsam und zeitgemäß erziehen: Was Kinderfotos im Web angeht, wissen sie es nicht besser. Und die Verlockung ist groß. Der Spaßfaktor ist ohne Zweifel sehr hoch. Kinder sind einfach unglaublich reizend und immer wieder großer Grund zur Freude.

Im Spielparadies Internet begegnen wir infantiler Freude, sind oft wohlgesonnenen und unser Herz geht auf. Das was sich da regt, ist das innere Kind und das hat plötzlich, nach Jahrzehnten des Erwachsen-werdens und der Vernunft wieder einen Spielplatz.

Das finde ich saugut.

Aber dann passiert die oben bereits erwähnte Verwechselung des faktischen, biologischen Kindes mit diesem persönlichen, inneren Kind.

Und auch das wiederhole ich: Die Eltern wissen das nicht besser. Woher auch. Wir sind die erste Generation, die Medien-kompetent erziehen muss. Das haben wir nicht gelernt – nicht gezeigt bekommen.

„Ich bin als Kind auf der Hutablage des Renault R4 meiner Eltern bis nach Nord-England mitgefahren. Unter meiner kuscheligen Bettdecke. Auf der Rückbank war kein Platz, denn dort schlief mein kleiner Bruder. Gurte gab es sowieso nicht Meine Eltern vorne im Auto konnten wir nicht sehen, weil das Nikotin alles vernebelte. Meine Eltern haben wohl nichts falsch gemacht. Sie wussten es nicht besser.“

4. Kinderbilder über Facebook und Co. mit Freunden und Verwandten zu teilen, ist bequem. Welche Alternativen gibt es?

Das ist einfach.

Quasi geschützte Bereiche auf Facebook sind zum Beispiel ein plausibles Argument gegen kritische Stimmen wie meine. Aber in der Praxis stellt sich doch heraus, dass die Fotos viel zu viele Zuschauer haben.

Wenn Fotos von Kindern veröffentlich werden sollen, dann bitte ohne erkennbares Gesicht, ohne Namen und auch ohne konkrete Hinweise auf den Ort.

Oder: Hin und wieder eine E-Mail tut’s doch. Die meisten Kinderfotos werden sowieso gezeigt, weil jemand zeigen will – aber nicht, weil jemand kucken will.

Ich bin echt genau nicht altmodisch, aber die paar Kinderfotos früher waren mehr als genug.

Ich bin außerdem auch echt interessiert am Leben meiner Freunde und Bekannten, aber ich muss echt nicht andauernd deren Kinder im Web sehen.

5. Veröffentliche ich Bilder meiner eigenen Kinder im Netz?

Nein. Früher vielleicht ein paar. Ganz wenige.

Selbst bei dem o.g. Post über meine Tochter fühle ich mich schon wie ein kleiner Verräter.

In bisher dazu geführten Gesprächen und Diskussionen mit Freunden stellt sich immer mal wieder heraus, dass ich hier Hardliner bin. Aber radikal bin ich nicht. Vielleicht lockere ich mich sogar mit der Zeit etwas, und hier und da kommt dann doch mal ein Bild ins Web. Im Moment möchte ich aber Hardliner bleiben und an denen ruckeln, die eher blind und achtlos agieren.

„Aber: Das Leben ist bunt, mit Kindern noch viel, viel bunter.“

Kinder sollten weder versteckt noch überbehütet noch eingeschweißt aufwachsen, sondern am bunten Leben im Medienzeitalter teilhaben. Bevor die Dosis der Verträglichkeit jedoch im breiten Konsens bestimmt wurde, bleibe ich dabei. ‚Keine Kinderfotos im Social Web‚ ist immer noch das beste.

Das war es.

Nochmal vielen Dank an Alfred Krüger von heute.de für den Anstoß, diese Gedanken noch mal ausführlich in Worte zu fassen.

Und natürlich freue ich mich über jeden Unterstützer und jede Stimme auf Facebook.